Wenn Stiften nichts mehr bringt

Von Dr. Christoph Müllerleile

Dr. Christoph MüllerleileDr. Christoph Müllerleile © Dr. Christoph Müllerleile

Es bleibt ein Traum, zu schön um wahr zu sein. Ewig Gutes zu tun, ohne groß den Finger zu rühren, nachfolgenden Generationen namentlich in Erinnerung zu bleiben, schon zu Lebzeiten als Wohltäter gepriesen zu werden, clever Steuern zu sparen, sich seines Reichtums nicht schämen zu müssen – ein Traum, den sich Menschen gerne erfüllen wollen. Sie gehen in Scharen stiften.

Doch viele der Stifterinnen und Stifter sind schlecht beraten. Das meint nicht nur die Familienerbin Ilse Bosch im „Stern“ (4. Mai 2016). Es werden ständig kleine Stiftungen gegründet, die nahezu nutzlos sind, weil ihr Vermögen wegen der Nullzins-Politik der Banken kaum noch Erträge abwirft. „Spenden helfen gezielter“ ist die Bilanz der erfahrenen Mäzenin, die zum Pecunia-Netzwerk reicher Erbinnen gehört und sich in der Filia-Frauenstiftung engagiert.

Die Erkenntnis ist nicht neu. Früher war es der Geldwerteverfall während der großen Wirtschaftskrisen, der Stiftungen massenhaft dahinraffte, ohne dass die Stifter irdische Unsterblichkeit erlangen konnten. Andere blieben erhalten, weil sie sich auf rentable Sachwerte gründeten und groß genug zum Überleben oder keine Stiftungen im klassischen Sinne waren.
Seit den Neunzigerjahren erlebt Deutschland einen ungeheuren Stiftungsboom. Er gründet sich auf den wachsenden Wohlstand einer in die Jahre gekommenen Gründergeneration, das Werben um mehr bürgerschaftliches Engagement, öffentliche Anerkennung und steuerliche Anreize zum Stiften. Zwischen 2001 und 2015 verdoppelte sich die Zahl der Stiftungen bürgerlichen Rechts in Deutschland von 10.503 auf 21.301. Die Zahl der Neugründungen ging sprunghaft in die Höhe und erreichte im Reformjahr 2007, als attraktivere steuerliche Bedingungen Gesetzeskraft erlangten, einen Höchstwert von 1.134. Im vergangenen Jahr wurden immerhin noch 583 neue Stiftungen bürgerlichen Rechts errichtet.

Gleichzeitig mit den Reformen sanken die Anforderungen an den Nachweis der Wirkungsfähigkeit von Stiftungen. Bürgerstiftungen entstanden nach dem Prinzip Hoffnung. Fact follows form – Erst einmal die Hülle schaffen, dann werden die Zustifter schon kommen. In allzu vielen Fällen hat sich die Hoffnung nicht erfüllt und um die neuen Gebilde wurde es still. Das Stiftungskapital bleibt bei fast drei Viertel der rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts in Deutschland unter einer Million Euro. Das bringt zurzeit auf einem Festgeldkonto der Bank bei einjähriger Laufzeit weniger als 10.000 Euro Ertrag.

Beim jüngsten Stiftungstag des Bundesverbands Deutscher Stiftungen in Leipzig gab es Diskussions- und Informationsveranstaltungen in Fülle zu alternativen Kapitalanlagen, die mit den gesetzlichen Sicherungspflichten im Einklang stehen. Doch letztlich muss der Trend zu größeren Stiftungseinheiten gehen mit hauptamtlicher Verwaltung, professionellen Anlagestrategien und so viel rentablem Sachvermögen, dass die gemeinnützigen Zwecke erfüllbar bleiben. Die Stiftungen werden mehr auf flexible Spenden setzen als auf totes Holz, das heißt auf Geld, mit dem sie wirklich etwas anfangen können, anstatt auf unantastbare Ewigkeitswerte, die nichts bringen und bei galoppierender Inflation oder Fehlanlage rasch zerfließen. Das bedeutet auch, dass Stiftungen auf dem Fundraising-Markt deutlicher als bisher in Erscheinung treten, manchmal parallel und in Konkurrenz zu Körperschaften, von denen sie gegründet wurden.

Noch ein Trend: Immer mehr Stifterinnen und Stifter werden schon zu Lebzeiten an der Umsetzung gemeinnütziger Ziele ihrer Stiftungen mitwirken und die Widmung des Vermögens womöglich anpassen, wo und wenn der Gesetzgeber es erlaubt. Das kann auch schmerzhafte Folgen haben. Die in Bad Homburg ansässige Herbert-Quandt-Stiftung muss Ende des Jahres ihre operative Arbeit einstellen und wird nur noch fördernd tätig sein, weil die größte Zustifterin Susanne Klatten die Schwerpunkte statt auf einen Dialog der Kulturen und das Bürgerengagement neu auf die Themen Natur, Kunst und kulturelle Bildung ausgerichtet sehen will.

Besondere Verantwortung kommt den Fundraising-Beratern zu. Sie sollten auf die Alternativen zur klassischen Stiftung bürgerlichen Rechts hinweisen, zum Beispiel Treuhand-, Gemeinschafts-, Dach- und Verbrauchsstiftungen, die flexibler und gebündelt auf die Nöte reagieren können, die im Sinne der Stifter akut gelindert werden müssen. Und vielleicht tut es ja auch einfach ein Verein.
 

Dr. Christoph Müllerleile ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: info@fundraising-buero.de

 

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